Biographie

Kurt W. Rothschild wuchs in bescheidenen familiären Verhältnissen auf und wurde im Roten Wien der 1930er Jahre sozialisiert. Dort erlebte Rothschild in seiner Jugend die fatalen ökonomischen und sozialen Konsequenzen der Weltwirtschaftskrise 1929/​30. Zweifelsohne war diese Zeit sehr prägend für sein gesamtes Werk: Fragen der Arbeitslosigkeit, der Einkommensverteilung und der Macht spielten für Rothschild stets eine zentrale Rolle. Seine Grundphilosophie über die Rolle der Ökonomie als Wissenschaft hat sich bereits in dieser politisch äußerst tragischen Zeit gebildet. 1966 schreibt Rothschild in der Einleitung zu seinem Buch „Marktform, Löhne, Außenhandel“ über seinen grundlegenden Standpunkt zur Nationalökonomie folgends:

„Dieser besteht letzten Endes darin, dass der Nationalökonomie stets bewusst sein soll, daß die Theorie nie Selbstzweck werden darf. Sie sollte stets der gründlichen Durchleuchtung unserer Umwelt dienen, damit diese besser und menschenwürdiger gestaltet werden kann.“

 

Studium

Rothschild wollte eigentlich Mathematik oder Physik studieren, doch aufgrund der ökonomischen Verhältnisse wählte er ein Studium, welches danach auch dem Broterwerb dienen sollte. Und dies war das Studium der Rechtswissenschaften. Im Rahmen dieses Studiums war damals auch eine sehr breite Ausbildung in der Finanzwissenschaft vorgesehen. In dieser Ausbildung wurde Rothschild massiv mit den Ideen der „Österreichischen Schule“ (Menger, Böhm-Bawerk, Wieser, u.a.) konfrontiert. Er war dabei vor allem von den klaren theoretischen und analytischen Ansätzen dieser Wissenschaft, aber auch von deren sozial- und wirtschaftspolitischer Relevanz beeindruckt. Es ist interessant, wie Rothschild über die Neoklassik oft in höchster Würdigung schrieb, diese aber gleichzeitig Zeit seines Lebens immer wieder heftig kritisierte, wenn diese zu dominieren begann und andere (historische, soziologische, institutionelle, etc.) Ansätze in den Hintergrund drängte.

 

Glasgow & John Maynard Keynes

1938, kurz nach Abschluss seines Studiums,  mussten Rothschild und seine Frau von Österreich in die Schweiz flüchten und von dort weiter nach Glasgow, wo Rothschild bis 1947 an der Universität tätig war. Er wurde in dieser Zeit intensiv mit einer der Neoklassik sehr kritisch gegenüberstehenden neuen Schule konfrontiert, mit der jungen Keynesianischen Revolution. 1942, im Alter von 28 Jahren, schickte Rothschild einen Artikel an das Economic Journal, das damalige „Core Journal“ der Ökonomie, dessen Herausgeber John Maynard Keynes (JMK) gewesen ist. Rothschild im O-Ton:

„Meinen ersten theoretischen Aufsatz, den ich gemacht habe an der Uni, habe ich im jugendlichen Übermut gleich an die führende Zeitschrift geschickt, an das Economic Journal. Er (JMK, W.A.) war der Herausgeber. Nach ein paar Tagen habe ich einen Brief bekommen, wo er schrieb, das gefällt mir, das werde ich bringen.“

 

Rückkehr nach Österreich

Als Rothschild 1947 von Schottland nach Österreich zurück kam, war sein ökonomisches Fundament bereits gelegt: die marxistische Theorie, angeeignet im Selbststudium sowie in zahlreichen Diskussionszirkeln im Rahmen seiner Mitarbeit beim „Verband Sozialistischer Mittelschüler“ im Roten Wien der 1930er Jahre; die neoklassische Grundschule, erarbeitet bei den Lehrern der „Österreichischen Schule“ während seines Studiums der Rechtswissenschaften (1934-38); und dann die intensive Aneignung der Keynesianischen Lehre in den Gründerjahren dieser Schule im Exil in Schottland (1938-47). Es ist und bleibt bewundernswert, wie Rothschild diese drei ökonomischen Schulen in seine „box of tools“ integrierte und sich in all seinen Arbeiten in spielerischer und undogmatischer Weise immer jener Werkzeuge bediente, welche er – je nach Fragestellung – als angemessen und relevant erachtete. Ökonomie, wie man sie sich vorbildhafter nicht vorstellen kann.

 

Wirtschaftsforschungsinstitut, Universität Linz

Rothschild wurde 1947 nach seiner Rückkehr nach Wien auf Grund seiner jüdischen Herkunft und seines sozialistischen Hintergrunds nicht mit offenen Armen empfangen. U.a. aufgrund einer Empfehlung von August von Hayek (!), welchem Rothschild inhaltlich sicher nicht nahe stand, erhielt er 1947 eine Anstellung am Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO). Seine zahlreichen Arbeiten dort, ebenso wie die vielen Erzählungen seiner damaligen jungen Arbeitskollegen, spiegeln eindrucksvoll wider, welches konstruktive und produktive Arbeitsklima damals vorherrschend war. Und dieses war geprägt insbesondere von Kurt W. Rothschild, aber auch von seinem Freund, dem großen österreichischen Ökonomen Josef Steindl (1912-93).

Erst 1966 wurde Rothschild an die neu gegründete Universität Linz berufen, wo er die einmalige Gelegenheit hatte, das in Österreich neu geschaffene Studium der Volkswirtschaftslehre mit Leben zu erfüllen. Diese Möglichkeit bzw. diesen Auftrag nahm er vorbildhaft wahr. Seine zahlreichen Schüler, von denen sich heute viele in wichtigen Positionen in Forschung, Wirtschaft und Politik befinden, legen umfangreiches Zeugnis für seine hervorragende Rolle als Wissensvermittler von Wirtschaftstheorie und –politik ab. Rothschild arbeitete an der Universität Linz bis zu seiner Emeritierung 1984 und war in dieser Zeit auch für zwei Jahre (1971-72) Rektor der Universität.

 

Emeritierung, aber kein Ruhestand

Seit seiner Emeritierung lebte Rothschild mit seiner Frau in Wien. Für ihn war aber die Emeritierung nicht mit Ruhestand verbunden. Rothschild schrieb und lehrte auch in dieser Zeit noch intensiv. Am WIFO war er seit 1966 Konsulent, arbeitete dort aber insbesondere seit seiner Emeritierung 1984 bis zuletzt regelmäßig und stand für freundliche und hilfsbereite Gespräche immer zur Verfügung. Viele seiner interessanten Bücher und Artikel entstammten seiner Feder noch bis in höchste Alter. Noch im Alter von 95 Jahren publizierte Rothschild (gemeinsam mit Hans Bürger) sein letztes Buch. Ebenso war Rothschild in diesen mehr als 25 Jahren nach seiner Emeritierung gern gesehener Gast bei zahlreichen nationalen wie internationalen Symposien. Seine wohl überlegten und klaren Aussagen und Stellungnahmen zu vielen aktuellen wirtschaftspolitischen Themen sind vielen von uns noch in guter Erinnerung.

Rothschild war kaum jemals einer neuen Idee abgeneigt, aber er diskutierte diese immer mit unnachgiebiger Strenge, verbunden mit konstruktiven Anmerkungen. Seine wissenschaftliche Offenheit zu den unterschiedlichsten Theorien, Methoden und Themen machten ihn relativ unumstritten zum Doyen der österreichischen Nationalökonomie.

 

Ehrendoktorate

1987: Universität Aachen
1990: Universität Augsburg
1995: Universität Bremen
1995: University of Leicester
2004: Wirtschaftsuniversität Wien

 

Auszeichnungen

1983: Wissenschaftsmedaille der Stadt Linz
1983: Würdigungspreis der Stadt Wien
1986: Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse
1999: Ehrenzeichen des Landes Oberösterreich
2010: Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch (Sonderpreis für das publizistische Gesamtwerk)

Seit 1998 organisiert ihm zu Ehren das Volkswirtschafts-Institut der Universität Linz jährlich eine Kurt W. Rothschild-Vorlesung.

 

Autobiografie

Rothschilds einzigartige Biografie, erschienen im American Economist (nur über elektronische Bibliotheken abrufbar):  “To Push and to be pushed”